Die Sprachpolitik von Atatürk … und Sardinien

Ne mutluyum türküm diyene

(Glücklich ist derjenige, der sagen kann: „Ich bin Türke“).

In meinem Blog geht es um Soziolinguistik, Sprachpolitik, Sprachkontakt und Geolinguistik. Es geht immer um den Vergleich zwischen der sardischen Sprachpolitik und anderen Sprachen oder Sprachpolitiken. Es geht um die Beschreibung dessen, was in anderen Ländern geschehen ist und darum Parallelen zu ziehen.

Vor einigen Tagen stolperte ich über meine Magisterarbeit, natürlich habe ich ein wenig darin herumgeblättert und gesehen, dass ich einige Seiten zur Sprachplanung verfasst hatte und unter anderem auch die türkische Sprachpolitik unter Mustafa Kemal Atatürk erwähnt hatte.

Bevor sich innerhalb der Sprachwissenschaft das Konzept der Sprachplanung herausgebildet hatte, gab es bereits Personen, die sich auf die Suche nach Regeln für Sprachen und „reinen“ Sprachformen gemacht hatten. Diese Personen würde man heutzutage eher als „Grammatiker“, denn als Linguisten bezeichnen.

Die wissenschaftliche Herausbildung der Sprachplanungstheorie gehört dem Zwanzigsten Jahrhundert an. Die tatsächliche Beschäftigung mit sprachlichen Standards fand in den dreißiger Jahren ihren Platz in der Sprachwissenschaft. Des Weiteren muss man unterstreichen, dass eine Unterscheidung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Hinblick auf den Standard gegeben wurde. Man betonte zunehmend, dass es bis dato eine Form der ‘Willkürlichkeit’ hinsichtlich der Herausbildung schriftlicher Standards gegeben hatte.

Die meisten schriftlichen, europäischen Standards hatten sich aufgrund ihrer Literatur beziehungsweise durch Schriftsteller herausgebildet. Manchmal brachten auch wirtschaftlich starke Zentren oder eben Hauptstädte die Standardsprache hervor.

Die Etablierung einer Standardsprache durch diese Mechanismen war nicht länger vertretbar. Es wurde ein gezielter Eingriff von Linguisten in Normierungsprozesse von Sprachen gefordert. Diese Forderung impliziert das, was in unserem heutigen Verständnis als Sprachplanung gilt. Der bewusste Eingriff in sprachliche Strukturen, durch Linguisten und seitens des Staates.

Als eines der ersten Beispiele eines solchen Eingriffs in die Sprache kann man die Sprachpolitik der Türkei, unter Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938), vermerken. Der Präsident der türkischen Republik veranlasste, dass die arabische Schrift auf das lateinische Alphabet umgestellt wurde. Gleichzeitig wurde die Hochsprache durch die türkische Volkssprache abgelöst. Diese Ablösung erfolgte durch eine Gruppe von Sprachwissenschaftlern, die der türkischen Volkssprache die gleiche Anmut verleihen sollten, die der Hochsprache, des vorherigen Osmanischen Reiches, in nichts nachstehen sollte.

Es ging um das „aktive Eingreifen in die Sprache“, im Sinne eines Sprachplanungsprozesses ausgehend von der Regierung. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Türkei eines der ersten Länder war, die Anstalten gemacht hat, einen solchen Prozess in Gang zu setzen.

Als am 29.10.1923 die Türkische Republik, Türkiye Cumhuriyeti, entstand und man sich als eigene Nation abgrenzen wollte, sind viele Reformen entstanden. In fast jedem Land bleibt die Sprache hierbei ein wichtiger Faktor, da sie identitätsstiftend ist und einen wichtigen Beitrag zur Entstehung eines kollektiven Gefühls leistet; sie ist Träger der Gedanken und des persönlichen Ausdrucks.

Das Türkische befand sich zuvor in einer Diglossie, der Koexistenz einer Hochsprache und einer Volkssprache. Das Türkische galt im Hinblick auf das Arabische und Persische als eine Sprache, der wenig Prestige zugeschrieben wurde. Sie wurde als grob und primitiv betrachtet und konnte schriftsprachlich nicht genau gefasst werden. Natürlich gab es schon Schriften, die auch in Türkisch oder der „Volkssprache“ verfasst worden waren.

Dieser Zustand änderte sich unter Atatürk und seinen Reformen, die, unter anderem, zunächst das Sultanat und Kalifat abgeschafften, ein neues Zivilrecht einführten und Ankara zur Hauptstadt ernannten. Die Grundgedanken der Sprachpolitik Atatürks spiegeln sich in folgendem Zitat wider:

„Die türkische Nation, die es verstand, ihr Land und ihre ehrenvolle Unabhängigkeit zu verteidigen, muss auch ihre Sprache von dem Joch der fremden Sprache befreien“.

An dieser Stelle entstehen, auch und vor allem, aus unserem heutigen Verständnis heraus, politische und kulturelle Konflikte:

  1. Unabhängigkeit und Nationalismus; Kann man unabhängig sein, sich auf die eigenen Werte besinnen, ohne dabei eine Tendenz zu entwickeln, starke nationalistische Züge anzunehmen?
  2. Identität und Fremdenhass; Kann man stolz auf seine Identität sein und die eigenen Wurzeln erhalten, ohne dabei das Fremde, das, was einen zuvor dominierte und vielleicht sogar unterdrückte, auszublenden und abzulehnen?
  3. Aufwertung und Purismus; Kann man die eigene Sprache aufwerten, ihr ein angemessenes Prestige verleihen, wenn man ihr ihre eigene Struktur, ihre eigenen Lexeme und Funktionen innerhalb des sozialen Gefüges nicht zuerkennt, ohne sie dabei rein zu halten und vor äußeren Elementen zu schützen oder gar zu verteidigen?

Am 01.11.1928 führt das Gesetz 1353 in der Türkei ein neues Schriftsystem ein, die lateinische Schrift. Dies hatte einerseits zur Konsequenz, dass es für die türkische Sprache bessere Korrespondenzen für Phoneme und Grafeme gab (also für Laute und ihre schriftliche Realisierung), andererseits die arabischen und persischen Wörter nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form wiedergegeben werden konnten und somit als „Fremdkörper“ erschienen.

Es wurde die türkische Sprachgesellschaft gegründet, die heute Türk Dil Kurumu (TDK) heißt. In ihr befanden sich auch radikale Puristen, die in extremer Art und Weise versuchten, alle Fremdelemente zu beseitigen. Die Sprachgesellschaft hatte folgende Aufgaben:

  • Material aus der Volkssprache, aus älteren Texten und aus anderen Turksprachen zu sammeln
  • Regeln für den gesamten sprachlichen Korpus fest zu legen
  • Lehnwörter und Fremdwörter durch türkische Wörter zu ersetzen
  • Fragebögen landesweit zu verteilen (Büyük Dil Anketi) und die Bevölkerung zu involvieren
  • Zeitungsleser aufzufordern türkische Wörter zu finden
  • Der Bevölkerung zu empfehlen täglich ein neues türkisches Wort einzuüben
  • Wissenschaftliche Bücher mit Hilfe anderer europäischer Sprachen zu schaffen

Im Laufe der Geschichte der Sprachgesellschaft gab es jedoch anscheinend verschiedene Tendenzen im Hinblick auf die „Reinheit“ der Sprache und die absolute „Ausmerzung“ von Fremdwörtern.

Bald wurde auch Atatürk und seinen Mitarbeitern der TDK bewusst, dass es nicht möglich war, absoluten Purismus gewährleisten zu können, da alle Sprachen irgendwie „gemischt“ sind. Sprachkontakt evoziert automatisch Entlehnungen, Neuschöpfungen und Veränderungen von grammatikalischen, lautlichen oder anderen sprachlichen Strukturen.

Auch die TDK konnte sich nicht den bereits eingegangenen Wörtern aus anderen Sprachen, wie dem Persischen und Arabischen, für immer entledigen. Geschweige denn verhindern, dass aus anderen Sprachen neue Wörter eingingen. Hier musste ein guter Mittelweg gefunden werden. Augenscheinlich hatte Atatürk für dieses Problem eine recht intelligente Lösung parat.

Es geht um die Güneş Dil Teorisi, die „Sonnensprachtheorie“. Ein serbischer Gelehrter, Hermann Feodor Kvegić, hatte einst die Behauptung aufgestellt, dass Türkisch die Ursprache aller Sprachen sei. Er hatte bestimmte Laute untersucht. Laute, die Menschen beim Anblick der Sonne ausstießen, die irgendwie dem Prototürkischen ähnelten. Eine Art türkische „Onomatopoesie“ (sprachliche Nachahmung von außersprachlichen Schallereignissen), die allen Sprachen zugrunde liegt. Kurzerhand bediente man sich dieser Theorie. Sie galt von 1936-1938 als Staatsdoktrin in der Türkei.

Es bleibt sehr zweifelhaft, dass Atatürk tatsächlich an diese Theorie glaubte, allerdings erlaubte sie ihm dem stark Überhand nehmenden Purismus entgegenzuwirken. Wenn tatsächlich alle Wörter auf das Türkische zurückgingen, so musste man sich über Fremdwörter nicht mehr arg den Kopf zermartern, da ja dann alles türkisch war.

 

……………………………………………………………………………………………………………………………..und Sardinien…………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………

 

Die Sprachpolitik Atatürks auf Sardinien anwenden zu wollen, wäre in höchstem Maße anachronistisch und gleichzeitig nicht realitätsgetreu, da Sardinien sich in einer völlig anderen Situation befindet, als die Türkei vor fast hundert Jahren. Zudem kann nicht alles, was in der Türkei geschehen ist, als positiv gewertet werden. Allerdings existieren hinsichtlich der Sprachpolitik und der grundlegenden Konflikte einige Parallelen.

Sardinien besitzt seit 1948 ein Sonderstatut, Regione Autonoma Sarda. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es in Sardinien, seitens verschiedener Parteien und Bewegungen, Unabhängigkeitsbestrebungen gibt. Besonders bei den letzten Regionalwahlen in diesem Jahr konnte man relativ hohe Prozentzahlen bei diesen Parteien verzeichnen, nicht zuletzt durch die Kandidatur der Schriftstellerin Michela Murgia als Präsidentin der Region Sardiniens. Doch auch kleinere Unabhängigkeitsparteien konnten Stimmen für sich gewinnen und Stellvertreter im Regionalen Rat platzieren.

Michela Murgia hat kurzerhand eine Partei zusammengestellt, Sardegna Possibile („Ein mögliches Sardinien“), die aus der Unabhängigkeitspartei Progetu Repùblica de Sardigna (ProgReS) und zwei Kandidaturlisten, Gentes und Comunidades, bestand. Der Unabhängigkeitsgedanke stand hierbei nicht im Vordergrund war jedoch stark impliziert.

In diesem Zusammenhang bemerkte man besonders in diesem Jahr, aber auch in den Jahren zuvor ein starkes Interesse für die sardische Sprache, die in den meisten Fällen in den Programmen von Unabhängigkeitsparteien, aber auch anderen Erwähnung findet.

Seit 1999 versucht man in Sardinien eine einheitliche Schriftsprache zu schaffen. Dies hat zu starken Auseinandersetzungen unter Politkern, Intellektuellen und Sprachwissenschaftlern geführt, die bis heute andauern und an denen die Verfasserin des vorliegenden Textes nicht ganz unbeteiligt war.

Die meisten Förderer der sardischen Sprache sind Menschen, die sich auf ihre Wurzeln besinnen, die sich für Traditionen interessieren und eben eine stärkere sardische Autonomie anstreben. Häufig sieht man sich mit Vorurteilen konfrontiert ein „Separatist“ zu sein, nur weil man Interesse an der eigenen Kultur hegt.

In meinem gesamten Vergleich mit der Sprachpolitik Atatürks möchte ich zwei Punkte hervorheben, die mir äußerst relevant erscheinen. Derlei Vergleiche sind bereits für andere Minderheitensprachen, wie das Katalanische, Baskische, das Papiamentu, das Deutsche in Südtirol und so weiter gezogen worden. Die türkische Sprachpolitik, wie veranschaulicht worden ist, trägt hierbei jedoch ihre Besonderheiten.

Die sardische Sprachpolitik der letzten fünfzehn Jahre hat sich massiv von der Bevölkerung, die diese Sprache letzten Endes aktiver verwenden soll, entfernt. In Sardinien existiert auch eine Art TDK, die den Namen Ufitziu pro sa Limba Sarda trägt. Hier haben verschiedene Übersetzungen in eine Norm stattgefunden Limba Sarda Comuna, die von weiten Teilen der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, aufgrund ihres artifiziellen und die italienische Verwaltungssprache imitierenden Charakters.

Man sollte, wie Atatürk und die TDK es taten, Fragebögen erstellen, die Bevölkerung aufrufen zu helfen, man sollte Sprecher involvieren und sie am Sprachplanungsprozess Teil haben lassen, die sardischen Medien sollten auch jeden Tag ein neues Wort abdrucken und an der Revitalisierung der Sprache arbeiten. Man sollte vielmehr die sardische Literatur fördern, Beispiele in altsardischen Texten finden und auch massiv wissenschaftliche Arbeiten in sardischer Sprache fördern.

Punkt 2. Um jedoch nicht eine massive Form des Purismus zu evozieren und dem Nationalismus entgegen zu wirken, sollte man sich bemühen, einen gesunden Mittelweg zu finden. Natürlich keine „Sonnensprachtheorie”. Man sollte  das klare Bewusstsein dafür entwickeln, dass Entlehnungen, Fremdwörter und auch Italianismen im Zuge der Globalisierung ein natürlicher und fester Bestandteil der normalen Evolution einer Sprache sind.

Es sollte bei sardischem „Sprachpurismus“ viel mehr darum gehen, sich auf die Wurzeln zu besinnen und das eigene zu bewahren. Wir müssen keine anderen Wörter verwenden, wenn wir diese Wörter in unserem Gedankengut tragen, wenn sie bereits Teil unserer außersprachlichen Wirklichkeit sind und wir Namen für die Gegenstände haben, die uns umgeben.

… im Übrigen kann auch derjenige stolz sein, der von sich behaupten kann: “Deu seu sardu“.

 

Nachtrag vom 04.01.2015, dank der Unterhaltung mit Prof. M.L. (siehe unten, in italienischer Sprache):

Mein kleiner Artikel hier, der nur oberflächlich einige Punkte anschneidet, dient keinesfalls einer Verherrlichung von Atatürk.

Natürlich bleiben häufig bei Standardisierungsprozessen, besonders in der Vergangenheit bei der Entstehung von Grenzen und “Nationen”, Minderheiten auf der Strecke. Prof.M.L spricht hierbei die Kurden und Armenier an.

Ich bin immer dafür einen gesunden Mittelweg zu gehen und zu schauen welche Fehler in der Vergangenheit gemacht worden sind, aber hierbei nicht zu vergessen, daß man in der Geschichte auch einige positive Dinge finden kann. Ich bin dafür, zu sehen, was wir von anderen abgucken können, aber in unserem Kontext und die jeweilige Situation auch ablehnen können, weil es nicht zeitgemäß ist.

 

 

Unter anderem verwendete Literatur:

Coulmas, Florian (1985): Sprache und Staat. Studien zur Sprachplanung und Sprachpolitik, Berlin-New York: Walter de Gruyter.

Haig, Geoff (1996): „Sprachkontakt und Sprachpurismus am Beispiel der türkisch-osmanischen Sprache“, in: Rostocker Beiträge zur Sprachwissenschaft2, S.59-89, Rostock: Philosophische Fakultät.

Haugen, Einar (1966): Language Conflict and Language Planning. The case of modern Norwegian. Cambridge Massachusetts: Harvard University Press.

Haugen, Einar (1987): Blessings of Babel, Berlin- New York: Mouton de Gruyter

Laut, Jens Peter (200): Das Türkische als Ursprache. Sprachwissenschaftliche Theorien in der Zeit des erwachenden türkischen Nationalismus, Turcologica 44, Wiesbaden: Harrassowitz.

Vachek, Josef (1966): The Linguistic School of Prague, Bloomington & London: Indiana University Press.

 

Il sardo è una lingua, ma i sardi non lo capiscono

Bolognesu: in sardu

La Corte di Cassazione ha dato ragione a Doddore: aveva diritto a usare il sardo.

http://www.ilfattoquotidiano.it/2014/12/12/sardo-lingua-lecito-richiedere-interprete-in-ogni-procedimento/1270438/

Quanti sardi fanno uso di questo diritto?

Che io sappia, in tutti questi anni Doddore Meloni è stato il secondo a farne richiesta.

A 17 anni dalla legge regionale 26/97 e a 15 da quella 482/99, dello stato, i sardi non hanno ancora superato il trauma della dialettizzazione della loro lingua.

La stragrande maggioranza dei sardi ha accettato che la loro lingua venisse relegata in un ghetto sempre più ristretto: quello della famiglia e della cerchia di amici, ma ormai neanche in famiglia si usa quasi più.

Quasi nessuno insegna il sardo ai figli.

Al di fuori di un giro ristretto di professionisti della lingua, praticamente nessuno usa il sardo in pubblico

Ma le cose stanno molto peggio di così.

Provate a rivolgervi in sardo a uno sconosciuto, per strada o in un negozio…

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